Die Impfdebatte ist in vollem Gange, es passieren Pannen, andere Länder sind schneller als wir, es gibt viele Informationen, aber auch viele Fehlinformationen. Wie soll man da durchsehen? Unsicherheiten bezüglich der Impfung sind vollkommen verständlich. Auch ich als Ärztin habe sicher nicht alle Antworten, auch ich muss googlen, Fachpublikationen lesen und mich auf die Aussagen der Menschen verlassen, die mehr Expertise haben als ich. Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie vielleicht von Interesse ist, was ich (nach ausgiebiger Recherche) nun über die Impfungen gegen Covid denke. Hoffentlich kann ich einige Fragen beantworten.
[Disclaimer: Ich bin keine Virologin oder Epidemiologin. Ich habe gründlich recherchiert, aber ich weiß auch nicht alles. Außerdem liefert uns die Wissenschaft täglich neue Erkenntnisse. Im Zweifel: Nachfragen und/oder Nachlesen schaden nicht!]
RNA, das klingt nach DNA, Hilfe! Verändert eine mRNA-Impfung unser Erbgut? Ist das gefährlich?
Unser Erbgut ist in der DNA festgeschrieben, davon wird einer Art Kopie (RNA) zu Ribosomen geschickt, welche diese RNA als Vorlage nehmen, um aus einzelnen Aminosäuren all die Proteine zusammenzusetzen, die der Körper braucht. Rückwärts läuft dieser Prozess im menschlichen Körper nie – aus RNA kann nicht wieder DNA werden, dafür fehlen uns die Enzyme (so etwas haben nur ganz bestimmte Tiefseebakterien). Die mRNA-Impfung (so funktionieren die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna) ist ein kleines Stück RNA, welches die Bauanleitung für ein Protein der Coronavirus-Oberfläche enthält. Das Protein wird dann in unserem Körper nachgebaut und unserem Immunsystem präsentiert, damit es gegen die Infektion eine Immunantwort vorbereiten kann. Weder die RNA noch die Oberflächenproteine können die Erkrankung auslösen. Hier gibt es zwei Nachteile:
- RNA-Impfungen (auch genannt „next generation vaccines“) gab es bisher nicht, deshalb gibt es auch in Zukunft noch bürokratische Hürden zu meistern. Diese Impfungen sind vorerst nur für begrenzte Zeit zugelassen und müssen dann nochmal behördlich überprüft werden – aber das ist alles im Grunde genommen gut für unsere Sicherheit und meiner Meinung nach sehr sinnvoll.
- Wenn das Virus mutiert (das hat es ja bekanntlich schon), verändert sich dessen Erbgut. Wenn sich ausgerechnet die Stelle im Erbgut verändert, die für das Oberflächenprotein des Virus den „Bauplan“ gespeichert hat, kann es sein, dass die Impfung gegen die mutierten Viren nicht mehr wirkt.
Kann man sich denn darauf verlassen, dass die Impfung trotzdem so gut überprüft wurde wie andere Medikamente oder gab es da jetzt Nachlässigkeiten, weil alles schnell gehen musste?
Die Impfung von BionTech/Pfizer besteht aus zwei Injektionen im Abstand von drei Wochen. Der Impfschutz beträgt sieben Tage nach der zweiten Impfung 95%. Schon nach der ersten Impfung beträgt der Schutz etwa 55%. Wann welche Phase der Zulassung stattgefunden hat, ist für jeden Impfstoff öffentlich einzusehen (auch wenn man für diese Informationen schon etwas recherchieren muss). Bei der Zulassung der Corona-Impfstoffe wurde keine der vorgeschriebenen Phasen übersprungen, aber es hat Überschneidungen der Phasen gegeben. Normalerweise würde bei der Medikamentenzulassung nie eine Studie der nächsten Phase begonnen, ehe nicht die letzte Studie zufriedenstellend abgeschlossen wurde. Hier wurden von den Investor:innen große finanzielle Risiken eingegangen, indem auf zufriedenstellende Ergebnisse der jeweils vorigen Studien spekuliert wurde. Diese wurden aber in der Zwischenzeit fertiggestellt und haben die Sicherheit der Impfstoffe bestätigt. Wie bei anderen groß angelegten Studien besteht aber trotzdem die Möglichkeit, dass man trotz der großen Teilnehmer:innenzahl eine unerwünschte Wirkung mit einer winzig geringen Auftretenswahrscheinlichkeit nicht erwischt hat und diese erst im Verlauf der nächsten Jahre sichtbar wird. Rechenbeispiel: Im Fall von Biontech/Pfizer mit ca. 38.000 Proband:innen liegt die Wahrscheinlichkeit bei über 83 %, mindestens eine unerwünschte Wirkung mit einer „wahren Inzidenz“ von 0,01 % zu erfassen, aber seltenere unerwünschte Wirkungen werden möglicherweise nicht gezeigt. Die Anzahl der Studienteilnehmer:innen war hier weit höher als sonst bei Impfstoffzulassungen üblich.
Sind nicht die vielen Nebenwirkungen der Impfung viel gefährlicher als die Covid-Erkrankung selber? Ich bin doch gesund! Und außerdem höre ich jetzt von so vielen Infektionen kurz nach der Impfung…
Folgende Nebenwirkungen der Impfung treten häufig auf (im einstelligen Prozentbereich):
- Schmerzen an der Einstichstelle
- Fieber
- Schüttelfrost
- Kopfschmerzen
- Abgeschlagenheit
Diese sind bei weitem nicht gefährlicher als die Erkrankung. Sehr selten gab es ernstere Zwischenfälle wie Herzrhythmus- oder neurologische Störungen sowie Infektionen (z.B. an der Einstichstelle).
Die Impfung hat sich insgesamt als ausgesprochen sicher herausgestellt. Im einstelligen Bereich gab es bei Proband:innen mit bekannten schweren Allergien schwerere Zwischenfälle, jedoch keine der Impfung zuordenbare Todesfälle. Die Impfung ist bei Menschen mit vorbekannten schweren Allergien nicht empfohlen.
Die vielen Fälle von Corona-Infektionen, welche kurz nach der Impfung aufgetreten sind, sind am ehesten einem sogenannten „Bias“ zuzuordnen, haben also keinen Zusammenhang mit der Impfung. Zu Beginn der Impfkampagne in Deutschland war schlicht und einfach das Infektionsrisiko auf einem Spitzenstand. Dass gegebenenfalls auch Infektionen im Kontakt mit vielen Menschen auf einmal im Impfzentrum übertragen worden sind, kann man ebenfalls nicht ausschließen. Hiervor schützt konsequentes Maske-Tragen und Händewaschen sowie Abstandhalten auch am Tag der Impfung.
Insgesamt bewerte ich die Impfung weit sicherer und risikoärmer als die Erkrankung, vor der sie schützen soll. Ob eine Impfung die Übertragung der Krankheit auch verhindert, ist nicht klar. Aber auch eine steigende Massenimmunität trägt ihren Teil zu einer kleineren Übertragungswahrscheinlichkeit bei.
Meine Erfahrungen und mein Fazit für Sie:
Weil ich auf einer Intensivstation mit Covid-Erkrankten arbeite, hatte ich schon das Privileg, geimpft zu werden. Die erste Impfdosis habe ich am 21. Januar 2021 erhalten. Ich bin dafür extra an meinem freien Tag in die Klinik gefahren. Am Nachmittag und am nächsten Tag hatte ich ziemliche Probleme, meinen linken Arm zu bewegen – das ist bei mir schon bei vielen Impfungen so gewesen. Außerdem hatte ich am nächsten Tag Kopfschmerzen und habe mich sehr schlapp gefühlt. Kolleg:innen, die an dem Tag sogar schon die zweite Dosis erhalten haben, haben von noch etwas stärkeren Beschwerden wie starker Abgeschlagenheit und Fieber berichtet. In der nächsten Woche ist mein zweiter Impftermin und ich freue mich so sehr, bald weitestgehend geschützt zu sein von dieser schlimmen Erkrankung. Täglich erlebe ich Patient:innen mit der Erkrankung und bin im Gespräch mit den Angehörigen. Trotzdem fühlt sich die ganze „Corona-Sache“ auch nach einem Jahr Pandemie noch sehr surreal an.
Ich wünsche mir, dass wir bald so viele Geimpfte in Deutschland haben, dass es Herdenimmunität gibt, denn auch mir hängen die Beschränkungen zum Halse heraus und ich würde gern wieder mit meiner Familie in ein Restaurant gehen. Aktuell geht das nicht, und ich als gesunder Mensch habe so viel Respekt und ja, Angst vor der Erkrankung, dass ich die Beschränkungen vorbehaltlos akzeptiere.
Mein Fazit lautet also: Lassen Sie sich impfen, wenn Sie können. Durch die Impfung werden Sie zu 99.99% nicht sterben – durch Covid vielleicht schon. Ich möchte Sie gern bald wieder im Biergarten treffen, aber bitte nicht bei mir auf Arbeit.
P.S.: Das war nur ein kurzer Rundumschlag. Wenn Sie Fragen oder Anliegen haben, wenden Sie sich jederzeit an mich. Hier sind einige wichtige Quellen zum Nachschlagen: